DIE KREATIVITÄT
LIEGT IN DEN AUGEN DER ANDEREN
Die Bildsprache von Reinhard Niedermeier
Das Werk der Bilder von Reinhard Niedermeier scheint heterogen zu sein. Es gibt aber drei Aspekte, die wie Koordinaten das Terrain seiner künstlerischen Praxis durchziehen. Film und Fotografie als Rohmaterial für die Malerei, das Bild als Konstruktion .. und Zitate aus früheren, klassischen Bildsprachen, insbesondere der italienischen Renaissance.
1. Film und Fotografie als Rohmaterial
Niedermeiers Malerei steht in einem produktiven Spannungsverhältnis zwischen fotografischer Präzision und malerischer Autonomie. Seine Bilder beziehen ihre Energie aus der Ästhetik des fotografischen Moments – aus dem flüchtigen, manchmal beiläufigen Charakter eines Bildausschnitts, der an eine Filmszene oder ein Standbild erinnert. Oft wirken sie, als wären sie aus einer fotografischen Sequenz herausgeschnitten – doch anstatt das Gesehene zu reproduzieren, transponiert Niedermeier es in eine eigene Bildsprache.
Diese Transformation beruht nicht allein auf handwerklicher Umsetzung, sondern auf einer bewussten Verschiebung der Bedeutungsebenen: Licht, Kontrast und Unschärfe bleiben nicht technische Merkmale, sondern werden bildpoetische Werkzeuge. Die Kühle der Vorlage weicht einer aufgeladenen Komposition, die ihre Herkunft nicht verleugnet, aber deutlich darüber hinausgeht.
2. Das Bild als Konstruktion
Der eigentliche künstlerische Akt beginnt für Niedermeier nicht auf der Leinwand, sondern lange zuvor: mit einer konzeptuellen Anordnung fotografischer Fragmente. Einzelne Ausschnitte – oft aus seinem eigenen Archiv – werden in einer Vor-Collage kombiniert, skaliert und neu gewichtet, um eine Komposition zu schaffen, die sowohl abstrakt als auch erzählerisch funktioniert.
Was daraus entsteht, ist keine Collage im klassischen Sinne, sondern ein visuell verdichteter Bildraum, der Gleichzeitigkeit zulässt, Motive überlagern sich, Perspektiven brechen sich, Bedeutungen schweben. Die Bilder fordern den Blick des Betrachters heraus – nicht, um eine Geschichte zu erzählen, sondern um Rhythmen und Assoziationen freizusetzen. Sie funktionieren wie fragmentarische Filmszenen, deren Erzählung nicht ausgesprochen wird, sondern zwischen den Schichten liegt.
3. Ein imaginäres Gespräch mit Pontormo
Man stelle sich ein Gespräch vor zwischen Reinhard Niedermeier und Jacopo da Pontormo. Zwei Künstler, durch Jahrhunderte getrennt, aber im Geiste verbunden durch das Bewusstsein für das Künstliche im Bild.
Pontormo: „Ich komponiere meine Bilder aus Zeichen, aus Symbolen, die etwas darstellen sollen – den Glauben, den Tod, die Ekstase.“
Niedermeier: „Ich konstruiere meine Bilder aus Fragmenten. Aus Dingen, die schon gesehen wurden. Aber in meiner Malerei sollen sie keine Geschichte erzählen, sondern eine Struktur erzeugen, in der sich das Sehen selbst reflektiert.“
Pontormo: „Aber du suchst doch auch Motive, oder etwa nicht?“
Niedermeier: „Ja, aber nicht, um ihre symbolische Bedeutung abzurufen – ich suche nach ihrer Spannung im Bildgefüge. Das Motiv wird bei mir zum Teil einer Komposition, die auf das Ganze zielt, nicht auf eine Allegorie.“
Pontormo: „Dann ist deine Malerei eine Architektur des Sehens?“
Niedermeier: „Vielleicht. Sie ist ein Vorschlag, wie man sehen könnte, nicht wie man sehen soll. Die Kreativität liegt also nicht nur bei mir – sie liegt in den Augen der Anderen.“
So wird deutlich: Niedermeiers Malerei schöpft nicht nur aus einer reichen Bildtradition, sondern entwickelt ihre eigene Grammatik – in ständiger Auseinandersetzung mit dem fotografischen Bildgedächtnis unserer Zeit, mit der Kunstgeschichte und mit der Frage, wie viel Konstruktion ein Bild braucht, um frei zu sein.
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